Fein herausgeputzt waren Peter und sein Bruder Klaus: Kurze Stoffhosen wurden von ledernen Hosenträgern gehalten, die vor der Brust
mit einer Hirschhorngemme verbunden waren. Lange, karierte Kniestrümpfe steckten in offenen Sandalen. Oben herum trugen sie, über einem Pulli, jeder einen kurz geschnittenen Anorak mit einer
großen Kapuze, die unter den Kragen geknöpft wurde. In der Hüfte konnte der Anorak mit einer Kordel zusammengezogen werden. Wie Zwillinge sahen sie aus! Dazu bei trugen noch die beiden gleichen
Pudelmützen, die sie auf dem Kopf hatten.
Für die Osterzeit war es empfindlich kühl.
Jetzt saßen Peter und Klaus auf dem Gitter vor dem Haus und versuchten, das Gleichgewicht zu halten. Jeder hatte einen kleinen
Weidenkorb dabei, dort hinein sollten gleich, auf einem Spaziergang, Ostereier gesammelt werden. Hoffentlich hatte der Osterhase in diesem Jahr wieder besonders viele Eier verloren!
„Wenn Mama und Papa jetzt nicht bald kommen, ziehe ich mich wieder um!", Klaus war es, der nicht mehr warten konnte. „Jedes Jahr der gleiche Zauber."
Er wollte Peter gegenüber nicht zugeben, dass es ihm schon Spaß machte: der lange Spaziergang, der nicht nur durch die Straßen und an Schaufenstern vorbeiführte und die vielen Süßigkeiten, die
man am Ende im Korb hatte. Und da war nicht zuletzt der Spaß, den sie immer hatten.
„Ich freue mich schon darauf", gab Peter zu, „eigentlich macht es mir jedes Jahr Spaß. Wenn ich an die leckeren Schokoladeneier, die Zuckerkringel und die kleinen, gefüllten Zuckereier denke,
läuft mir jetzt schon das Wasser im Mund zusammen."
„Ja, ja, ist ja auch das Richtige für Babys", ärgerte Klaus seinen Bruder.
So ging es eine Weile. Sie warteten, balancierten und warteten.
Da, in einem unachtsamen Augenblick bekam Peter von Klaus einen Stoß und verlor das Gleichgewicht. Er ruderte mit den Armen, so dass der kleine Korb in seiner Hand wie ein Propeller durch die
Luft sauste. Im letzten Moment, bevor er nach vorne auf die Straße gefallen und sonst etwas passiert wäre, konnte er sich mit dem rechten Fuß hinter einer Gitterstange verhaken und blieb
schimpfend oben sitzen.
„Sag mal, spinnst du? Wir haben gute Sachen an!", fuhr Peter Klaus an.
„Mach das nicht noch einmal."
Ohne Vorwarnung und bevor er etwas antworten konnte, bekam Klaus einen gezielten Schlag mit dem Osterkorb vor die Brust. Der Schlag kam so plötzlich und unerwartet, dass Klaus das Übergewicht
verlor und wie in Zeitlupe nach hinten kippte. Er konnte sich gerade noch etwas zur Seite drehen und sich ein wenig vom Gitter abstoßen und landete somit, wenn auch etwas unsanft, auf der Rampe
hinter dem Zaun und nicht im dazwischen liegenden Blumenbeet.
„Gemeinheit", fauchte er Peter an, „so stark habe ich dich nicht geschlagen. Warte, das gibt Rache!"
Und mit einem Satz war er über das Blumenbeet hinweggesprungen.
Peter war zu überrascht, er konnte nicht mehr weglaufen. Klaus stand schon auf der kleinen Mauer, hielt sich mit der linken Hand am Gitter fest und hatte Peter mit dem rechten Arm im
Schwitzkasten.
„Lass los, ich kriege keine Luft!"
Weiter kam Peter nicht, denn hinter ihnen wurde die Haustür aufgerissen und eine noch lautere Stimme übertönte seine eigene: „Ihr seid doch wohl verrückt geworden, zertrampelt mir meine ganzen
Beete! Wenn ich euch erwische, ziehe ich euch den Hosenboden stramm!"
Tante war es, die wutschnaubend in der Tür stand und nun bedrohlich näherkam.
Klaus, der auf der ´gefährlichen´ Seite des Gitters hing, öffnete sofort den Schwitzkasten und ließ Peter frei.
Peter hingegen sprang vom Gitter hinunter auf die Straßenseite, packte Klaus unter die Arme und zog ihn so gut er konnte zu sich herüber.
Tante stand schon auf der Rampe und lehnte sich weit über die Beete. Mit einer Hand erwischte sie noch Klaus' Hosenbein und wurde nun durch den Ruck nach vorne gezogen. Vor Schreck ließ sie Klaus
los, denn, um nicht zu fallen, musste sie sich nun ihrerseits am Gitter abstützen und geriet dabei mit den Füßen in ihre eigenen Blumen.
Die Jungen hatten es indes geschafft, sie standen schon zwei Häuser weiter auf der Straße und schauten Tante etwas ängstlich an.
„Wartet, das sage ich euren Eltern. Kommt heute ja nicht nach Hause, dann werdet ihr was erleben!"
Tante putzte sich die Hausschuhe an der Beeteinfassung ab, drehte sich um und war im Haus verschwunden.
„Mensch, da haben wir ja noch mal Glück gehabt", sagte Klaus erleichtert.
„Danke übrigens, dass du mir das Leben gerettet hast. Etwas sanfter hättest du es aber machen können. Meine Kniescheiben tun ganz schön weh, die sind bestimmt grün und blau."
„Spinnst du! Ich riskiere mein Leben, um dich zu retten, und du maulst noch..."
Weiter kam Peter nicht, denn da rief ihre Mutter schon, und der Spaziergang sollte endlich losgehen.
Der Spaziergang führte gleich neben dem Haus die steile Lärchenstraße hinab. Sie war nur provisorisch geteert; links stieg die immer
höher werdende Böschung zu Tantes Garten an, rechts lagen die abfallenden Gärten der anderen Nachbarn, die durch einen Maschendrahtzaun vom Weg abgetrennt waren. Unten gabelte sich die
Lärchenstraße und führte nach links in die "Lärche" hinein, auf der anderen Seite schlängelte sich ein schmaler Pfad am Bach entlang bis zur Mulde und zum Bahndamm.
Die Kinder wollten an dieser Stelle den Bach überqueren, in den hinein ein paar dicke Steine gerollt waren, um wenigstens einigermaßen trocken ans gegenüberliegende Ufer zu gelangen. Aber daraus
wurde nichts, das Sonntagszeug könnte schmutzig werden, oder schlimmer noch, man könnte auf einem der glitschigen Steine ausrutschen und im Bach landen. Die Jungen sahen diese Argumente ihrer
Eltern zwar nicht ein, aber was sollten sie machen, der etwas längere Weg wurde gewählt.
Zur Belohnung, oder als ob es der Osterhase geahnt hätte, lagen ganz in der Nähe der Mulde plötzlich zwei wunderbar in buntem Stanniolpapier eingewickelte Schokoladenostereier im
Gras.
Klaus war es, der als erster beinahe auf eines draufgetreten hätte.
„Ich hab was gefunden!", schrie er aus Leibeskräften und ließ sich auf die Knie fallen. Komisch, jetzt taten sie ihm nicht mehr weh! Peter suchte verzweifelt in der Nähe dieser Fundstelle, denn
Erfahrung aus den Jahren zuvor hatte ihn gelehrt, dass der Osterhase seine Eier nicht allzu weit auseinander versteckte. Wer wusste schon warum!
Aber Peter fand nichts, sosehr er sich auch anstrengte, sein Korb blieb diesmal leer.
„Du wirst bestimmt gleich auch was finden", tröstete ihn seine Mutter.
Aber Peter musste noch etwas länger auf eine süße Osterüberraschung warten.
Sie stiegen den Bahndamm hinauf, kamen am Kleinbahndepot vorbei und überquerten das Kleinbahngelände bis zur Fabrik, in der
Krankenfahrstühle gebaut wurden. Gleich hinter der Fabrik, auf der anderen Seite der Herforder Straße begann der steile Aufstieg zum Paterberg.
Hier, schon auf halber Höhe, hatte man einen herrlichen Ausblick auf ihr Tal. Rechts im Hintergrund war die "Lärche" zu erkennen. Sie wurde an ihrer höchsten Stelle von einem weithin sichtbaren
Gittermast gekrönt, neben dem das Falkenheim lag. Zwischen "Lärche" und Fabrik schlängelte sich der Bach mit noch unbefestigtem Ufern in Richtung Weser dahin. Wenn man geradeaus schaute, erkannte
man die Straße, in der sie wohnten. Dahinter stieg das Gelände immer weiter an, bis hinauf zum Winterberg, dessen bewaldete Höhen im Dunst zu erkennen waren. Dem Bachlauf weiter nach links
folgend, wurde die Bebauung immer dichter, und man konnte einzelne wichtige Gebäude der Stadt ausmachen: Vorne die Katholische Kirche, gegenüber der Kalkofen, anschließend die alte Bürgerschule.
Weiter hinten sahen sie die beiden Evangelischen Kirchen, das Rathaus mit den Bögen der Weserbrücke und am Hang des Winterberges die neue
Bürgerschule.
An dieser Stelle verweilten sie immer einen Moment und sahen schweigend in die Runde. „Es ist Ostern, und ich glaube, der Osterhase
war fleißig."
Vater war es, der die Stille unterbrochen hatte.
Peters Gedanken fanden sofort in die Wirklichkeit zurück. Sein Bruder hatte schon etwas im Korb, er noch nicht. Wie ein Spürhund machte er sich sogleich auf die Suche. Mit gebeugtem Oberkörper
streifte er durch das Gras am Wegrand. Dabei musste er die Hände frei haben, um die Grasbüschel auseinanderzuschieben und unter Blätter und Zweige schauen zu können, deshalb gab er seinen Korb
Vater. Klaus fand die Idee gut und tat das Gleiche. Die gefundenen Sachen konnte man ja abgeben und dann weitersuchen.
Sie brauchten auch nicht lange zu suchen, Vater hatte recht gehabt. Keine drei Meter von ihrem Standort entfernt fanden sie zwei aus Laub und Gras hergerichtete Nester, die so angefüllt waren mit
den leckersten Dingen, dass sie allein damit ihre Körbe füllen konnten.
Vor Vergnügen quietschend und strahlend hielten sie hartgekochte und buntbemalte Ostereier, Schokoladenosterhasen, Zuckerkringel und kleine, gefüllte Zuckereier in die Höhe.
„Mama, Papa, hier!", riefen sie wie aus einem Mund.
„Da haben wir ja mal wieder den richtigen Weg ausgesucht."
Glücklich packten sie ihre Körbe voll, und ein Teil der Leckereien wanderte schon jetzt in ihren Mund. Peter hatte vergessen, dass er beim ersten Mal nichts gefunden hatte. Sein Mund war mit
Schokolade verschmiert - und er strahlte.
Nun ging es weiter den Paterberg hinauf. Klaus und Peter hatten keine Zeit, ihre Körbe selbst zu tragen, so beschäftigt waren sie
mit Umherstreifen und Suchen.
Es lohnte sich auch wirklich, von Zeit zu Zeit fanden sie abwechselnd diese herrlich süßen, gefüllten Zuckereier im Gras verstreut. Sie brachten sie immer, nachdem sie genug davon gefuttert
hatten, zu Vater, der sie verstaute; die Körbe waren zum Überlaufen gefüllt.
Sicher, so großzügig wie bei den beiden Nestern war der Osterhase nun wohl nicht mehr, sie fanden immer wieder nur Zuckereier und brachten diese zu Vater.
So ging der Osterspaziergang noch eine ganze Weile weiter: Umherstreifen im Wald, Zuckereier finden und diese zu Vater bringen, bis die Jungen langsam müde wurden.
In den letzten zwanzig Minuten hatten sie auch keine Nester und Zuckereier mehr gefunden und deshalb beschlossen sie, den Heimweg anzutreten.
Zu Hause angekommen wurden die gefundenen Schätze sofort auf den Küchentisch geschüttet und verglichen, wer wohl am meisten hatte.
Aufkommende Streitigkeiten wurden von vornherein von den Eltern unterbunden, beide Jungen hatten nun mal fast gleich viele Süßigkeiten. Kleine Unterschiede mochten sich dadurch ergeben, dass
Peter unterwegs vielleicht ein wenig zu viel geschlickert hatte.
Nur - die Anzahl der gemeinsam gefundenen Zuckereier verwirrte Klaus und Peter.
Sie hatten doch viel mehr gefunden als die Handvoll, die dort auf dem Tisch lag.
Oder sollte etwa ihr Vater...?
Aber nein, der aß nur selten
Süßigkeiten, und den Jungen würde er auch nicht so viele weggegessen haben.
Na ja, es war immer noch genug vorhanden, und zum weiteren Nachgrübeln waren beide schon viel zu müde.
Die Körbe wurden wieder gefüllt und auf die Nachtschränkchen neben die Betten gestellt. Klaus und Peter mussten versprechen, sich
vor dem Zubettgehen die Zähne zu putzen und anschließend nicht mehr von den Süßigkeiten zu naschen.
Ob sie dieses Versprechen wohl halten konnten? Wir wollen nicht weiter nachforschen und die beiden fleißigen Sucher jetzt schlafen lassen.
Der Osterspaziergang war anstrengend, aber wie in jedem Jahr sehr schön gewesen!