Weitere Bilder am Ende der Geschichte!
„Mama, Mama, schau mal, was ich für dich gemalt habe!“
Levi kam aus seinem Kinderzimmer und zeigte Mutter ein selbst gemaltes Bild mit einem Hasen darauf, der Ostereier bunt anmalte.
„Zeig mal - oh, das hast du aber toll hingekriegt!“
Mutter war sichtlich erfreut, dass Levi sich so viel Mühe gegeben hatte.
„Das hängen wir hier in der Küche auf, dann kann Papa es sich heute Abend auch ansehen. Der wird Augen machen.“
„Au, ja“, freute Levi sich und ging wieder in sein Zimmer zum Spielen.
Am Abend kam es genauso, wie Mutter es vorausgesagt hatte. Vater stand mit offenem Mund vor Levis Bild und fragte schmunzelnd:
„Welcher Künstler hat denn dieses fantastische Bild gemalt?“
„Iiiiich war das!“
Levi kam wie ein Wirbelwind aus seinem Kinderzimmer und sprang seinem Vater in die Arme. Der warf seinen Jungen hoch in die Luft und ließ sich dann mit ihm zusammen auf das kleine Sofa fallen.
Nach langem Drücken und Knuddeln fragte Levi plötzlich ganz atemlos:
„Du, Papa, können Hasen eigentlich Eier legen? Ich war gestern bei Oskar zu Hause, der hat doch zwei Kaninchen. Ich habe aber nicht ein einziges Ei in seinem Kaninchenstall gesehen!“
Vater schaute seinen Sohn von der Seite an und sagte:
„Also, zuerst einmal legen die Hühner die Eier, die können das viel besser als alle Kaninchen und Hasen der Welt. Und zu deinem Kunstwerk mit dem eierbemalenden Hasen erzähle ich dir eine
Geschichte.“
„Au, ja!“, Levi kuschelte sich noch näher an Vater heran, und dieser begann zu erzählen.
Es war ein paar Tage vor Ostern.
Wie jedes Jahr um diese Zeit war Tolpatsch aufgeregt und ungeduldig. Als kleiner Hase hatte er schon bei den Ostervorbereitungen wie Ostereierbemalen, Geschenkeeinpacken und Verstecke Aussuchen
mithelfen dürfen.
Aber jedes Mal, wenn es ernst wurde, wenn also direkt am frühen Ostermorgen die Überraschungen in den dafür vorbereiteten Nestern versteckt wurden, dann durfte Tolpatsch nicht
mithelfen.
„Du bist dafür noch zu klein!" und „Diese wichtige Aufgabe überlass den Großen, die machen nicht so viele Fehler!"
Das waren die Ausreden der erwachsenen Hasen und stimmten Tolpatsch jedes Jahr aufs Neue sehr traurig.
„Aber dieses Jahr wird alles anders, das schwöre ich euch", grollte Tolpatsch, als er wie so oft in seinem Lieblingsversteck
hinter dem Holzschuppen im Garten saß.
„In diesem Jahr werde ich mit dabei sein. Ihr werdet euch noch wundern."
Dabei machte er ein trotziges Gesicht, das die Erwachsenen sicherlich überzeugt hätte. Aber wie konnte er mithelfen, wenn es ihm doch verboten war? Die großen Hasen würden ihn streng
bestrafen, wenn er ihnen in die Quere kam und wenn er, was das Schlimmste war, den Kindern, die sich schon so sehr auf die Osterüberraschungen freuten, das Fest verderben würde.
Als Tolpatsch so in Gedanken versunken dahockte und an einem Grashalm knabberte, bemerkte er gar nicht, dass Piep, sein kleiner
Blaumeisen-Freund, über ihm auf einem Ast saß und ihn mit schiefgelegtem Kopf ansah.
„Was ist mit dir?", zwitscherte Piep. „Ist dir etwas über die Leber gelaufen, oder hat dir jemand in die Suppe gespuckt?"
„Du mit deinen Sprüchen", mümmelte Tolpatsch vor sich hin, „du hast gut reden. Ich werde nicht für voll genommen und du machst dich auch noch lustig über mich."
„Aber, aber", tirilierte Piep, „erzähl mir von deinem Kummer. Du weißt ja, geteiltes Leid ist halbes Leid."
Also erzählte Tolpatsch ihm von seinem Kummer. Piep hatte ihm schon so manches Mal aus der Patsche geholfen, warum sollte er
nicht auch dieses Mal einen guten Ratschlag für ihn übrighaben. Nach ein paar Minuten schloss er mit den Worten:
„Und deswegen habe ich beschlossen in diesem Jahr die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Nur - ich weiß noch nicht genau, wie ich es anstellen soll!"
„Richtig so", ermutigte ihn Piep, „man muss den Erwachsenen nur zeigen, dass man nicht mehr der kleine, unbeholfene Wicht von vor ein paar Jahren ist. Und ich habe auch schon eine
Idee."
„Waaas?"
Tolpatsch blieb der Mund vor lauter Staunen offen stehen. Das war typisch sein Freund Piep, auf den konnte man sich eben verlassen.
„Erzähl schon, spann mich doch nicht so auf die Folter, was für eine Idee hast du?"
„Also, hör zu!", begann Piep.
„Als ich deine Verwandten bei ihren Ostervorbereitungen beobachtet habe, ist für mich so manches Krümchen dabei abgefallen, mit anderen Worten, es sind hier und da ein paar Eier oder ein paar
Schokoladenosterhasen zu Bruch gegangen.
Alles konnten ich und meine Freunde natürlich nicht auffuttern, wir hätten uns nur den Magen verdorben. Der Rest liegt noch hinter eurer Werkstatt und wartet nur darauf, von uns abtransportiert
zu werden."
„Wie - abtransportiert zu werden? Was meinst du damit?", wollte Tolpatsch wissen.
„Stell dich doch nicht so dumm an", erklärte Piep.
„Die Reste überlassen deine Verwandten doch liebenswürdigerweise immer uns, euren Nachbarn. Was wir damit machen, bleibt uns überlassen. Warum sollten wir sie dieses Jahr nicht einmal dir
geben?"
„Was soll ich denn damit?", fragte Tolpatsch, „Soll ich mir etwa den Magen verderben?"
„Du bist jetzt aber wirklich dümmer als die Polizei erlaubt", zwitscherte Piep ungeduldig. „Nicht aufessen sollst du die ganzen Sachen, sondern reparieren."
„Reparieren, all die vielen Sachen, die jedes Jahr übrigbleiben?", stöhnte Tolpatsch.
„In ein paar Tagen ist Ostern. Wenn ich heute mit der Arbeit anfange, werde ich frühestens nächstes Jahr Ostern damit fertig sein, und dann sind die ganzen Sachen verdorben."
Jetzt reichte es Piep. Er flog auf, drehte aufgeregt eine Runde um den Holzschuppen und landete dann dicht vor der Nase von Tolpatsch.
„So viel Dummheit auf einem Haufen müsste verboten werden", schimpfte er wie ein Rohrspatz.
„Natürlich schaffst du das nicht allein. Aber wozu hast du denn uns, deine Freunde? Meinst du etwa, wir lassen dich im Stich?"
„Mensch, Piep, ist das dein Ernst?", fragte Tolpatsch aufgeregt und wedelte dabei mit seinem kleinen Stummelschwänzchen wie mit einem zu schnell eingestellten Scheibenwischer.
„Das wäre ja die großartigste Sache der Welt. Meinst du, dass wir das schaffen könnten?"
„Natürlich", gab Piep
freudestrahlend zur Antwort, der jetzt merkte, dass sein Freund endlich wieder vergnügt war.
„Aber lass uns mit der Arbeit anfangen, es bleibt noch viel zu tun. Ich trommele alle unsere Freunde zusammen, und du sortierst schon mal die zerbrochenen Reste."
Das war in den letzten Tagen vor Ostern vielleicht ein emsiges Treiben in dem kleinen Garten. Ganz selten nur sah man jetzt einen
Vogel zum Futterhäuschen, das noch vom letzten Winter her neben dem Schuppen stand, fliegen, um sich zu stärken.
In allen Büschen raschelte und huschte es, überall waren die kleinen Freunde bei der Arbeit und formten Nester, flickten zerbrochene
Eier und halbe Schokoladenosterhasen zusammen, dass es eine Freude war. Und dann war es endlich soweit!
In der Nacht vor Ostermorgen konnte Tolpatsch vor lauter Aufregung nicht schlafen. Er musste ja auch viel eher als seine Verwandten das Verteilen der Überraschungen vornehmen, sonst hätten sie
ihn bestimmt erwischt und von seinem Vorhaben abgehalten. Aber es sollte alles klappen.
Zwar noch etwas müde, aber schon im Dunkeln und mit pochendem Herzchen machte er sich an seine Arbeit. Hier ein Nest mit bunten Eiern gefüllt, dort einen Schokoladenosterhasen hinter einem Strauß
Osterglocken versteckt und schon war die Zeit um. Tolpatsch musste jetzt von der Bildfläche verschwinden, weil gleich seine Verwandten das Gleiche vorhatten. Er lief mit seinen leeren Körbchen in
sein Lieblingsversteck und schaffte es gerade noch, sein Schwänzchen einzuziehen, als auch schon das muntere Treiben losging. Der Oberhase wunderte sich zwar, dass schon überall ein paar Nester
mit Leckereien bestückt waren, ließ sich seinen Unmut aber vorerst nicht anmerken.
Noch als Tolpatsch sich über seine gelungene Arbeit freute, spürte er plötzlich, wie ihn eine starke Hand bei den Löffeln packte und
aus seinem Versteck hervorzog. Es war sein Onkel, der ihn dort aufgespürt hatte und ihn nun mitsamt den leeren Körben zum Oberhasen brachte. Der erkannte sofort die Situation und setzte
seine böseste Miene auf. Das würde eine saftige Strafe geben!
„Bitte, bitte, ich ...", wollte Tolpatsch losplärren, aber noch bevor er aussprechen konnte, ertönte ein lautes „Sie kommen!", und alle Hasen huschten in ihre Verstecke.
Auch der Oberhase und Onkel machten sich schnurstracks, mit Tolpatsch im Griff, auf die
Socken in ihr Versteck. Und richtig, die Kinder aus dem Haus hatten schon die Tür aufgerissen und stürmten mit hochroten Wangen in
den Garten. Jedes hatte einen leeren Korb in der Hand, und das Suchen begann. War das eine Freude, als wieder und wieder ein neues Nest ausgeräumt werden konnte. Das Suchen und Schreien schien
kein Ende zu nehmen und die Kinder wussten gar nicht mehr, wohin mit den vielen leckeren Sachen. Zum Schluss passte nichts mehr in die Körbe, und es schauten schon die Köpfe von Schokoladenhasen
aus den Hosen- und Jackentaschen heraus.
„Dieses Jahr war der Osterhase aber besonders fleißig und lieb zu uns!", hörte Tolpatsch eines der Kinder rufen.
Der Oberhase wusste nicht, was er sagen sollte. Etwas sanfter als vorher schaute er zuerst zu Onkel und dann zu Tolpatsch.
„Ich glaube, wir haben dir Unrecht getan", flüsterte der Oberhase.
„Du hast mit deiner Idee ja keinen Schaden angerichtet, sondern zusätzlich Freude bereitet. Ich glaube, wir sollten dich ab heute in den Kreis der großen Osterhasen aufnehmen, deine Hand
drauf."
Und sie gaben sich feierlich die Hände. Tolpatschs Herzchen wollte vor Freude schier zerspringen. Doch - sollte er dem Oberhasen jetzt, in diesem wunderbaren Augenblick, beichten, dass
die Idee ja eigentlich von seinem Freund, der Blaumeise, stammte? Aber das konnte warten. Zuerst einmal war das Osterfest in diesem Jahr das schönste für unseren kleinen Tolpatsch, das
er je erlebt hatte.
Und genau so war es anscheinend auch für einen zufriedenen Levi. Glücklich schaute er Vater aus strahlenden Augen an und meinte:
„Das war aber schön, Papa! Ich gehe schnell in mein Zimmer und male Tolpatsch und Piep.“
Ob Kaninchen oder Hasen Eier legten oder nicht, schien ihn in diesem Moment nicht mehr zu interessieren.