- Die Wunschkiste - Neue Geschichten von Levi 02
Levi wollte unbedingt als Erster das Geheimnis des weinenden Fisches lösen. Ein Fisch, der traurig ist und weint, das hatte er noch
nie gehört! Dabei schaute er doch immer mit Oma zusammen die Fernsehsendung „Wer weiß denn sowas?“. Diese Frage war noch nie vorgekommen: Gibt es weinende Fische? Vielleicht sollte er einmal an
den Fernsehsender schreiben.
Er kramte in seiner Wunschkiste und fand schließlich das Buch vom Regenbogenfisch. Levi kannte die Geschichte gut. Sein Opa hatte sie ihm schon oft vorgelesen.
Sie handelt von einem stolzen, bunten Fisch, der sehr einsam ist und erst glücklich wird, als er einige seiner herrlich farbigen Schuppen verschenkt.
Beim Durchblättern bewunderte Levi immer wieder die bunten Bilder, aber ein weinender Fisch war nicht dabei.
Er legte die Hände hinter den Kopf, ließ sich nach hinten auf sein großes Kuschelkissen fallen und schaute verträumt aus dem Fenster in seinem Kinderzimmer.
Es dauerte nicht lange, da schloss Levi nach einem langen und ausgiebigen Gähnen die Augen und träumte sich an den Teich mit dem weinenden Fisch in Hennings und Eriks Garten.
Levi musste nicht lange warten. Er lag in seinem Traum am Teichrand, und schon nach ganz kurzer Zeit kam der große Koi, den sie gestern beobachtet hatten, an die Wasseroberfläche.
Levi schob sich etwas näher heran und fragte den Fisch:
„Na, mein Freund, wie geht es dir heute?“
Als ob es das Natürlichste von der Welt wäre, öffnete der Koi sein Maul und fing an zu sprechen:
„Heute bin ich genauso traurig wie gestern und vorgestern und alle Tage davor.“
Er ließ mit einem lauten Blubb eine Luftblase platzen und fuhr dann fort:
„Ich kann nie wieder glücklich sein. Ich werde bestimmt schon bald als dicker, fetter und alter Koi auf den Grund des Teiches sinken und sterben!“
Der Koi verzog sein Maul zu einem großen, herzzerreißenden O, und zwei dicke Tränen lösten sich aus seinen Augen und stiegen an die Wasseroberfläche.
„Hör auf damit!“, schimpfte Levi. „Da wird man ja gleich mit supertraurig. Was ist denn überhaupt dein Problem?“
„Mein Problem?“, blubberte der Koi. „Hach, wenn ich das nur wüsste! Das ist ja gerade mein Problem, dass ich nicht weiß, was mein Problem ist!“
„Ach so“, meinte Levi, „jetzt verstehe ich. Du bist ganz allgemein unzufrieden mit dir selbst und deshalb ständig traurig. Pass auf, dass daraus nicht eine ausgewachsene Depression wird!“
Der Koi drehte den Kopf zur Seite und schaute Levi dümmlich an.
„Ich kenne deine Depress… nicht. Ist das was Schlimmes?“, wollte er wissen.
Levi legte seinen rechten Zeigefinger ans Kinn und erklärte wissend:
„Eine Depression ist eine Krankheit im Gehirn. Damit muss man zum Arzt!“
„Nichts da!“, blubberte der Koi und tauchte etwas ab. Als er wieder auftauchte, sagte er:
„Dann bleibe ich lieber in meinem Teich und nehme die Beleidigungen meiner Mitbewohner in Kauf, …“
Weiter kam er nicht, denn Levi unterbrach ihn:
„Aha, du wirst also von den anderen Fischen beleidigt, jetzt kommst du endlich zur Sache!“
„Nun ja“, gab der Koi schließlich zu, „das ist es ja gerade. Nicht nur die Fische, auch die Frösche, Wasserläufer und Libellen
machen sich über mich lustig. Sie sagen: Du bist zwar der größte Koi im Teich, dafür hast du aber nicht so eine schöne Zeichnung auf den Schuppen wie deine Mitbewohner. Du bist
eine einzige Fehlfarbe!“
Das letzte Wort hatte er qualvoll hervorgestoßen, verzog erneut sein Maul und weinte etliche Tränen. Er bemerkte gar nicht, dass
ganz in der Nähe eine Vierflecklibelle auf einem Stiel saß und ihn mit breit ausgestreckten Flügeln beobachtete. Auch ein Schwarm Moderlieschen stand zwischen den Schilfhalmen versteckt und besah
sich das
Schauspiel.
Levi konnte es nicht glauben. Sollten die Teichbewohner einen so wunderbar aussehenden Fisch wirklich wegen seiner Farbe dermaßen hänseln, dass er krank wurde und vor lauter Kummer immerzu weinen musste?
Er rutschte noch näher an den Teichrand, beugte sich vornüber, so dass sein Kinn fast die Wasseroberfläche berührte und sagte:
„Aber du hast doch an deinem ganzen Körper geradezu leuchtende, orangefarbene Schuppen, du siehst toll aus!“
„Ich danke dir für deine Meinung“, meinte der Koi immer noch traurig, „aber ein richtiger Koi ist erst wertvoll, wenn er mehrere, klar abgesetzte Farben hat. Schau dir mal den Schwarz-Weiß-Roten dahinten an, der wird geschätzt, den mögen alle!“
„Zugegeben, der sieht nicht schlecht aus“, gab Levi zu. „Aber kommt es denn wirklich nur auf das Aussehen an? Ich kenne die Geschichte von einem Regenbogenfisch, der, obwohl er grandios aussieht mit seinen funkelnden Schuppen, einsam und traurig im Meer umherschwimmt. Weil er mit seinen Farben angibt, will niemand etwas mit ihm zu tun haben. Erst, als er von sich aus auf die anderen Fische zu schwimmt und einige seiner farbigen Schuppen teilt, wird er akzeptiert. Die anderen Meeresbewohner werden seine Freunde, und er wird nicht mehr gehänselt. Den Tipp mit dem Teilen hat er von einem großen, alten Oktopus bekommen.“
Der traurige Koi bekam ganz große Augen und schaute Levi ungläubig an.
„Ich verstehe!“, blubberte er eifrig. „Und jetzt willst auch du mir einen Tipp geben, damit ich nicht mehr traurig sein muss?“
„Genau“, fuhr Levi fort, „du großer, wunderschöner Koi schwimmst ab jetzt auf deine Teichmitbewohner zu und versteckst dich nicht mehr in den tiefsten Ecken des Teiches. Sprich mit ihnen, biete deine Hilfe an, mach dich nützlich!“
„Ich habe schon einmal einem kleinen Fisch geholfen“, sagte der Koi mit Glanz in den Augen. „Ein großer Stör hatte ihn immer wieder angestupst. Da habe ich mich dazwischengeschoben und den Stör vertrieben.“
„Siehst du“, forderte Levi auf, „das ist genau das, was du kannst. Du bist groß und stark. Die kleinen Lebewesen brauchen einen starken Freund.“
Schon nicht mehr so traurig fragte der Koi Levi:
„Und wie wäre es, wenn ich trotzdem ebenso bunt und schillernd wäre wie der Regenbogenfisch? Du könntest mir doch bestimmt helfen oder kennst einen Trick?“
Levi schüttelte den Kopf und widersprach:
„Nein, nein, nein! Das wäre verkehrt!
Der Regenbogenfisch ist der Fantasie eines Schriftstellers entsprungen. Solch einen Fisch gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Du bist echt und strahlst in wunderschönem Orange. Dazu bist du groß und stark. Mach dein Ding!“
„Ja, das werde ich in Zukunft machen! Danke, mein Freund“, sagte der Koi selbstbewusster, drehte um und schwamm mit kräftigen Schwimmbewegungen in die Mitte des Teiches davon.
Levi fühlte sich gut, drehte sich auf den Rücken …
.. und schaute mit offenen und glücklichen Augen aus seinem Kinderzimmerfenster.
Er würde Opa morgen von seinem wunderbaren Traum erzählen.
Heute wollten sich die Freunde zum ersten Mal im Garten von Thea und Rieke treffen. Die Schulkinder Thea und Henning mussten jedoch zuerst ihre Hausaufgaben machen. Was es dort wohl zu erkunden gab, ein Teich mit Fischen war nicht vorhanden.
Levi war schon ganz gespannt. Er packte sein Sandspielzeug in einen Eimer und machte sich nach dem Mittagessen auf den Weg. Direkt vor der Tür traf er auf Henning und Erik, auch sie hatten ihre Schüppen dabei. Gemeinsam gingen sie nach einem kurzen Schulterklopfen die lange Einfahrt zum Haus der Mädchen hoch, öffneten das Gartentor und befanden sich in einem großen Blumengarten. Am anderen Ende des Gartens saßen Rieke und Lea in ihrem riesigen Sandkasten und winkten ihnen zu.
„Hallo, kommt ihr auch schon!“, rief Thea. „Wir haben schon mal angefangen!“
Angefangen womit, dachte Levi, außer ein paar Blumen und dem Sandkasten ist hier doch nichts.
Henning, Erik und Levi liefen zu den Mädchen. Beim Näherkommen sahen sie, dass sich in der Mitte des Sandkastens ein großer Berg auftürmte, dessen Hänge mit Wasser befestigt waren.
„Wow, daraus machen wir eine Ritterburg“, meinte Henning.
„Ja, und ich buddele einen Tunnel mittendurch“, fiel Erik ein.
Levi schüttelte den Kopf: „Das machst du ganz bestimmt nicht! Dabei kracht doch alles in sich zusammen. Baue lieber ein paar Straßen um die Burg herum, um die Feinarbeiten kümmern wir uns.“
Er zwinkerte Thea zu, die kichern musste und vorschlug:
„Rieke kann dir dabei helfen!“
Nachdem die Aufgaben verteilt waren, machten sich alle an die Arbeit. Sie benutzten ihre Eimer, Harken und Schüppen dort, wo sie gebraucht wurden. Rieke schleppte immer wieder eine Gießkanne mit Wasser heran, und allmählich wuchs die Burg zu einem stattlichen Bauwerk heran. Der größte Turm war schon höher als Theas Nasenspitze reichte!
„Erfrischung!“, ertönte es laut von der Terrasse. Theas und Riekes Mutter hatte für die Kinder Mineralwasser und Becher bereitgestellt. Die Kinder hatten gar nicht bemerkt, wie durstig sie waren und machten sich dankbar über die Getränke her.
„Nein, das gibt es doch nicht!“, rief Levi plötzlich erschrocken auf. „Schaut mal dort!“
Er zeigte zum Sandkasten und alle Kinder folgten seinem Blick. Und dann sahen es alle!
Auf dem höchsten Punkt der Sandburg saß Kater Findus und versuchte, mit den Pfoten die kleine Fahne von der Turmspitze zu reißen, die Rieke dort aufgesteckt hatte. Die Kinder sprangen wie auf ein Stichwort auf und rannten zum Sandkasten, um zu retten, was noch zu retten war. Diesen Tumult nutzte die zweite Katze der Mädchen, Rose, sprang mit einem weiten Satz ebenfalls in den Sand und rannte darin herum. Beim Toben der Katzen und dem Versuch der Kinder, diese einzufangen, wurde die komplette Burg zerstört und sah nach kurzer Zeit aus wie eine platte Sandwüste.
„Ich habe eine!“, rief Levi. Doch das war wohl nichts. Gerade als er meinte, Kater Findus am Schwanz zu erwischen, riss dieser sich los, schlug einmal mit der Pfote zu und verschwand durch ein Blumenbeet in der Hecke.
„Autsch!“, heulte Levi auf. „Der Mistkater hat mich gekratzt. Na warte, wenn ich dich erwische!“
Mit diesen Worten rannte er ins Blumenbeet und hinter Findus her. Er kam jedoch nicht weit, da er auf etwas Schleimigem ausrutschte, der Länge nach hinschlug und mit dem Gesicht in der weichen Erde landete.
„Levi, nicht in Mamas Blumen!“, hörte Levi Rieke rufen.
Doch das war ihm im Moment egal, er wischte sich den Dreck mit dem Handrücken aus dem Gesicht – und hatte eine ausgewachsene Schnecke am Finger kleben. Angeekelt schleuderte er das Weichtier in Richtung Hecke, sprang auf und schrie erneut aus:
„Igitt, Schnecken, ich mach nicht mehr mit! Ich gehe nach Hause!“
Im Nu waren alle Kinder bei ihm und sahen das Unglück. Levi war anscheinend in eine Schneckenansammlung gefallen, und nun klebten einige der schleimigen Tierchen an ihm. Thea und Rieke waren am mutigsten, sammelten die Tiere ein und steckten sie in einen Sandeimer.
„Nicht in meinen Eimer!“, wollte Erik protestieren, aber da war es schon geschehen.
„Das gibt ein Festmahl“, sagte Thea auf einmal, und Rieke war schon auf dem Weg zur nahe gelegenen Tür vom Gartenhaus. Dort öffnete sie eine kleine Luke, und drei putzig aussehende Laufenten rutschten fiepend über eine kleine, mit Stroh bestreute Rampe heraus. Den drei Jungen stand der Mund vor Staunen offen. Eine solche Parade sieht man nicht alle Tage!
Als die erste Ente Thea mit dem hingehaltenen Eimer voller Schnecken sah, war sie nicht mehr zu halten. Mit langgestrecktem Hals, lautem Schnattern und aufgeregtem Schlagen der Flügel raste sie geradezu auf den Eimer los und machte sich, gefolgt von ihren Mitstreitern, über die Mahlzeit her. Das war ein Fiepen, Gackern und Schlucken! Die Kinder klatschten vor Aufregung in die Hände und feuerten die Enten mit lauten Rufen an. Erst als der Eimer ratzekahl leer war, ließen die Tiere davon ab, waren aber anscheinend noch immer nicht satt und verteilten sich auf die umliegenden Blumenbeete.
Die beiden Kater sahen sich das Schauspiel aus sicherer Entfernung an.
„Halt, nein!“, jammerte Thea. „Wenn das Mama sieht, dann setzt es was!“
Und richtig! Noch ehe es die Kinder mit vereinten Kräften schaffen konnten, die Laufenten wieder in den Stall zu treiben, stand Mama in der Terrassentür, hatte die Hände in die Seiten gestemmt und donnerte los:
„Was macht ihr denn da? Wer hat die Enten rausgelassen? Die Blumenbeete sehen ja aus wie umgegraben!“
Und schon hatte sie eine Weidengerte in der Hand und fuchtelte damit in der Luft herum. Doch zum Glück ging sie damit nicht auf die Kinder los, sondern half, die Enten in den Stall zu treiben. Mit einem lauten Knall klappte sie die Rampe hoch und schlug die Luke zu.
Theas und Riekes Mutter schaute die Kinder tadelnd an und befahl:
„Dreht euch mal um!“
Auwei, jetzt gab es wohl doch eine saftige Abreibung! Aber Mutter würde doch nicht alle Kinder mit der Weidenrute bestrafen, das glaubte keiner!
„Seht ihr, was die Enten und ihr in der kurzen Zeit angerichtet haben? Meine schönen Blumen!“
Die Kinder sahen den angerichteten Schaden und wussten gar nicht, was sie sagen sollten.
„Mama, entschuldige bitte“, gab Thea kleinlaut zu, „das haben wir nicht gewollt. Aber sieh dir doch mal an, wie Levi aussieht!“
Erst jetzt bemerkte Mutter, dass Levis Kleidung von oben bis unten mit Erde verdreckt war. Auch sein Gesicht war vollkommen beschmiert, er war kaum zu erkennen.
Die Mädchen erklärten ihrer Mutter, was geschehen war. Mutter ging zu Levi, zog ihr Taschentuch heraus, spuckte hinein und rieb Levi das Gesicht sauber. Levi wehrte sich nach Kräften, aber Mutter ließ nicht locker. Erst als Levi einigermaßen ansehnlich aussah, steckte sie das Tuch zurück in die Tasche und sagte:
„So, das muss vorerst reichen. Jetzt aber ab nach Hause und unter die Dusche. Dein Zeug muss auch in die Waschmaschine!“
Damit war der Besuch in Theas und Riekes Garten für heute Nachmittag jäh beendet. Die Freunde verabschiedeten sich in der Gewissheit, dass es doch noch ein richtiges Abenteuer war.
Dunkle Regenwolken jagten über den grauen Himmel. Der Wind warf Regenschleier gegen Levis Kinderzimmerfenster, sodass etliche Rinnsale sich ihren Weg die Scheiben hinunter suchten. Das war definitiv kein Wetter, um draußen zu spielen. Selbst Mira lag schläfrig auf dem Spielteppich und blinzelte von Zeit zu Zeit missmutig zum Fenster, ohne den Kopf auch nur einen einzigen Zentimeter anzuheben.
Levi saß, mit dem Rücken an sein Sofa gelehnt, ebenfalls auf dem Spielteppich und kramte lustlos mit einer Hand in seiner Wunschkiste herum, die neben ihm stand. Viele der Gegenstände, die er mit den Fingern ertastete, brauchte er sich nicht näher anzusehen, er erkannte sie bei der ersten Berührung. Die spitzen Hörner von Cera, dem Triceratop, piekten in seine Handfläche. Die Räder eines Spielzeugautos drehten sich quietschend, als Levi es beiseiteschob. Doch dann berührten seine Finger eine Figur, die er nicht sofort zuordnen konnte. Er beugte sich etwas über den Rand der Kiste, schaute gespannt hinein und hob eine große Spielzeugfigur heraus.
„Bob“, entfuhr es ihm überrascht, „dich habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen!“
Erschreckt hob Mira den Kopf und spitzte die Ohren. War sie gemeint? Anscheinend doch nicht. Levi hielt eine Figur in die Höhe und sprach damit. Mira machte es sich wieder gemütlich. Doch die Ruhe währte nur kurz! Levi kramte wie wild in der Kiste herum, schob Dinge laut schimpfend zur Seite und warf einige Gegenstände hinaus. Ein dickes Pappbuch landete direkt vor Miras Nase. Das wurde ihr jetzt doch zu unruhig hier, sie trollte sich und suchte nach einem angenehmeren Platz.
„Wo sind die nur? Die müssen doch hier irgendwo sein!“
Levi sprach mit sich selbst und fuhr ungebremst mit seiner wilden Suche fort. Bob hatte er auf das Sofa gelegt, so hatte er beide Hände frei. Mira hatte sich zu Mama ins Wohnzimmer gesellt, dort war es im Moment für müde Hunde ruhiger.
„Bob, sag mal, weißt du nicht, wo deine Bücher sind? Deine Geschichten mit Wendy und Leo, mit Rollo, Mixi, Heppo und den anderen!“
Levi blickte zum Sofa, auf dem Bob umgefallen war, auf dem Rücken lag und nun mit seiner Bohrmaschine in Richtung Regal zeigte. Und siehe da, dort standen sauber aufgereiht Levis Bücher, unter
anderem auch die von Bob, dem Baumeister. Ob das Zufall war? Levi sprang auf, schnappte sich ein Buch und legte sich neben die Spielfigur auf sein Sofa. In wenigen Augenblicken war er in die Welt
von Bob, dem Baumeister
eingetaucht….
… „Levi, hierher“, hörte Levi Bob rufen, „wir müssen die Kugelbahn aufbauen. Die Arbeit muss heute noch erledigt werden!“
„Okay, Boss, ich meine Bob! Baumeister Levi ist zur Stelle!“
Mit diesen Worten leerte Levi den großen Eimer mit den Bauklötzen für die Kugelbahn auf den Spielteppich aus, und sie fingen an zu bauen. Zu zweit machte es viel mehr Spaß, und die Arbeit erledigte sich wie von selbst. Bob rief Schleppo, den Lastwagen zu Hilfe, der die Klötze heranschaffte. Der fahrbare Kran Heppo hievte die schwersten Klötze mit Leichtigkeit an die obersten Plätze der Bahn. Im Nu war die Kugelbahn fertig.
Bob wischte sich die Hände mit einem Tuch sauber, zog sein Smartphone aus der Westentasche und sagte zu Levi:
„Ich rufe jetzt Wendy und Leo an, dann können wir in unserer Arbeitspause zusammen ein wenig mit der Kugelbahn spielen.“
„Au ja“, freute Levi sich, „ich besorge schon mal die Kugeln!“
Das war ein vergnügtes Rufen und Lachen, als die Kugeln mit Karacho die Holzbahn hinunterkollerten. Levi und seine neuen Freunde hatten einen Riesenspaß und wurden es nicht leid, immer wieder neue Schikanen zu erfinden, damit die Kugeln aus der Bahn sprangen und über den Spielteppich rollten.
Erst nach geraumer Zeit lagen alle Freunde auf dem Boden und hielten sich die Bäuche vor lauter Lachen.
In einer Verschnaufpause zeigte Wendy ganz aufgeregt in die Ecke des Kinderzimmers und rief:
„Levi, was hast du denn da? Ich glaub es nicht, eine richtige Werkbank!“
Und wirklich! Halb durch die Tür verdeckt stand dort an der Wand die Werkbank, die Levi kurz vor Ostern von seinen Eltern geschenkt bekommen hatte. Sofort war Bob, der Baumeister auf den Beinen und lief hinüber.
„Mit Werkzeug!“, staunte er. „Hammer, Säge, Schraubendreher, Schraubenschlüssel und ein Messwinkel. Dazu Schrauben mit Muttern, Nägel und Werkteile zum Bauen! Levi, du bist ein Glückspilz!“
Im Nu hantierte Bob mit dem Werkzeug herum. Und noch ehe sich die anderen versahen, hatte er ein kleines Mobile zusammengeschraubt.
„Kommt her“, rief Bob ganz aufgeregt, „wir machen jetzt einen Kursus zum Gebrauch von Werkzeug. Das kann man immer mal gebrauchen.“
Bob, Wendy und Leo waren ja schon Fachleute auf ihrem Gebiet. Sie staunten aber nicht schlecht, als Levi an der Reihe war und fachgerecht die Schrauben ins Holz schraubte. Als er dann noch einen echten Inbusschlüssel, Schraubenzieher und einen Akkuschrauber unter der Werkbank hervorholte, waren auch die Fachleute begeistert.
Der Tag hatte gar nicht genügend Stunden für die begeisterten Bauleute. Sie werkelten herum, gaben sich gegenseitig fachkundige Ratschläge und stellten ihre fertigen Arbeiten vor.
Auf einmal wurde die Kinderzimmertür aufgestoßen und prallte gegen die Kugelbahn, die mit einem lauten Krachen in sich zusammenbrach. Mira sprang mit einem Satz auf das Sofa und leckte dem dort liegenden Levi durch das Gesicht.
„Wasser abstellen! …“, murmelte Levi ganz verschlafen und setzte sich aufrecht hin. Sein Blick fiel auf die Fensterscheiben, an der ganze Sturzbäche hinabschossen. Der Regen hatte also immer noch nicht aufgehört!
In der Hand hielt er eine Spielfigur, Bob, den Baumeister.
Der nächste Tag begann etwas trockener. Die dicken Wolken hatten sich zum größten Teil verzogen, und die Pfützen auf der Straße waren getrocknet. Als Levi gerade mit Mira vom Gassigehen zurückkam, begegnete er Henning, der von der Schule kam.
„Hallo, Levi!“, rief er, als er aus dem Auto stieg. „Wollen wir nachher zusammen spielen?“
„Nee, geht nicht!“, gab Levi zur Antwort. „Ich fahre gleich mit Mama und Opa zum Möbelgeschäft, eine Kommode kaufen.“
„Aber danach hast du doch Zeit. Ich warte solange!“ Henning ließ nicht locker.
„Danach habe ich leider auch keine Zeit“, erklärte Levi, „dann muss ich beim Aufbau helfen. Das ist eine ziemlich schwierige Arbeit!“
Henning kratzte sich am Kopf, sah Levi mit schiefgelegtem Kopf an und meinte:
„Aber du bist doch viel zu klein dafür und noch längst kein Handwerker. Du stehst dabei nur im Weg rum. Lass uns spielen!“
„Ja, hör mal! Willst du mich beleidigen?“
Levi wurde ein wenig wütend, er und kein Handwerker!
„Ich habe schließlich gestern einen Kursus im Umgang mit allen möglichen Werkzeugen gemacht und bestanden. Ich bin jetzt ein Fachmann!“, rief er.
Henning guckte etwas verwirrt und wusste nicht, was er sagen sollte. Er drehte sich um, ließ Levi stehen und verschwand Haus.
„Bis später mal!“, rief Levi ihm hinterher. „Ich muss jetzt arbeiten!“
Mit diesen Worten ging auch er ins Haus und bereitete sein Werkzeug vor.
Die Fahrt zum Möbelgeschäft und das Kaufen der Kommode waren langweilig für Levi. Er durfte sich nicht frei bewegen, weil überall Dinge herumstanden, die kaputtgehen konnten. Levi setzte sich in einen Sessel und malte mit dem Finger Strichmännchen in den Staub auf der Armlehne.
„Levi, wir können!“, rief Mama. „Wir müssen gerade noch zum Lager und die Kommode abholen. Dann geht es nach Hause.“
Na, endlich geht es los, dachte Levi und sprang auf. Nach langer Wartezeit am Lager hatten Mama und Opa die Kommode endlich ins Auto geladen. Während der Heimfahrt hatte Levi schon einen Plan im Kopf. Mit seinem Werkzeug und seiner Erfahrung würde es ein Leichtes sein, die Kommode zusammenzubauen.
Zu Hause kam dann aber alles ganz anders. Nach dem Ausladen und Auspacken aus der Verpackung lagen so viele Einzelteile auf dem Fußboden, dass Levi ganz verdutzt war. Er lief schnell in sein Kinderzimmer und holte schon mal den Akkuschrauber und den Inbusschlüssel.
„Halt, mein Schatz“, rief Mama, „hierbei kannst du nicht helfen! Opa und ich müssen erst die passenden Teile zusammenstellen und die Beschläge sortieren. Dein Werkzeug kannst du bestimmt später gebrauchen. Geh erst einmal in dein Kinderzimmer und spiel mit der Kugelbahn!“
„Was!“, schrie Levi aus Leibeskräften.
„Ich soll nicht helfen können? Ich habe einen Kursus für Werkzeuge gemacht und bin jetzt Fachmann!“ Er wollte sich nicht beruhigen, schluchzte herzerweichend und drückte ein paar Tränen ab.
Opa sah Levis Mama stirnrunzelnd an. Dann nahm er ein kleines Brett mit vorgebohrten Löchern, suchte ein paar Schrauben heraus und legte beides etwas abseits von der noch unfertigen Kommode auf den Fußboden.
„So, mein Junge“, meinte er, „du musst uns jetzt helfen und diese Schrauben in die Löcher einarbeiten. Pass aber auf, dass du dich nicht piekst, die Schrauben sind spitz!“
Levi schaute Mama an, und als die lächelnd nickte, machte er sich an die Arbeit. Einiges gelang, anderes nicht, aber das machte nichts! Levi erwies sich als richtiger Fachmann und zeigte Ausdauer. Von Zeit zu Zeit lief er in sein Kinderzimmer, um passendes Werkzeug zu holen. Baumeister Bob würde stolz auf ihn sein!
So verging die Zeit wie im Flug. Und als auch Levis bearbeitetes Brett eingebaut war, stand die Kommode fertig da.
Alle waren stolz! Opa und Mama stellten das fertige Möbelstück an seinen Platz im Badezimmer. Anschließend erfrischten sich die drei Baumeister mit einem Getränk.
"Du hast uns ganz toll geholfen", lobte Mama ihren kleinen Jungen. "Ohne deine Hilfe wären wir nicht so schnell fertig geworden."
Levi strahlte übers ganze Gesicht. Plötzlich klingelte es an der Haustür. Levi sprang auf und rief: „Ich gehe!“
Und schon drückte er auf den automatischen Türöffner. In der Haustür stand Henning und fragte:
„Hast du denn jetzt Zeit? Mir ist langsam langweilig! Oder ich gehe zu Thea und Rieke."
„Nein, nein", antwortete Levi schnell. Er wollte seinen Freund nicht wieder wegschicken.
„Wir sind mit dem Aufbauen der Kommode fertig. Aber lass uns drinnen spielen, ich habe neue Duplosteine und viele neue Bauklötze für die Kugelbahn."
Henning war einverstanden. Neue Spielsachen weckten immer seine Neugier. An der Wohnungstür wurde er schon von Mira begrüßt, die ihn freudig ansprang. Die beiden Freunde gingen, gefolgt von Mira, in Levis Kinderzimmer. Dort stand neben Levis Wunschkiste eine riesige, durchsichtige Truhe voll mit Duplosteinen. Sofort saßen beide Jungen auf dem Spielteppich und wühlten darin herum.
„Da sind ganz viele Teile für einen Bauernhof drin. Lass uns doch zusammen einen großen Bauernhof bauen, mit allem Drum und Dran", schlug Levi vor.
Und so suchten sie emsig alle Teile für einen Bauernhof zusammen. Es gab nicht nur Gebäudeteile für ein Wohnhaus und eine große Scheune, auch viele Tierfiguren und Menschen waren vorhanden. Der Bauernhof nahm Gestalt an. Hinter dem Stall umbauten sie noch eine grüne Spielteppich-Platte mit einem Lattenzaun. Auf diese Weide stellten sie Pferde, Kühe und Schafe. Levi spannte einen Anhänger hinter den Trecker, belud diesen mit Holzklötzen und fuhr sie zur geplanten Baustelle für die neue Kugelbahn. Auf einmal hatte Henning ein Flugzeug in der Hand und sagte:
„Unser Bauer ist ganz modern, der hat ein eigenes Flugzeug und kann damit in die Stadt fliegen.“
Mit diesen Worten ließ er das Flugzeug über den Bauernhof kreisen und machte dabei laute Fluggeräusche. Auf einmal ließ er es über der Wunschkiste mit einem lauten Bäng! abstürzen. Vor Schreck sprang Mira auf, wedelte aufgeregt mit dem Schwanz und riss dabei eine Wand der Scheune ein. Etliche Bausteine flogen durch die Luft und brachten auch noch den Weidezaun zum Einsturz.
„Mira“, schimpfte Henning, „kannst du nicht aufpassen? Du machst ja alles kaputt!“
„Nicht schimpfen“, beschwichtigte Levi, „du hast doch Mira erschreckt! Das war bestimmt keine Absicht. Wir tun einfach so, als hätte der letzte Sturm die Wand eingerissen!“
Damit war Henning einverstanden. Nachdem sie die Wand repariert hatten, fragte Henning Levi:
„Sag mal, wie hast du das eigentlich gemeint, als du vorhin gesagt hast, du hättest einen Kursus im Gebrauch von Werkzeug gemacht? Das verstehe ich nicht!“
Levi erzählte ihm von seinem Erlebnis mit Bob, dem Baumeister, mit Wendy und Leo und dem Bau der großen Kugelbahn. Von seiner Werkbank und der Einweisung durch Bob in Werkzeugkunde berichtete er ganz ausführlich. Henning guckte immer noch skeptisch, fragte aber nicht weiter nach.